Dort wo gestern noch ein Wald stand

– ist heute eine gerodete Fläche und morgen eine betonierte Ebene.
Die ganze Welt, so scheint es, spricht von Neubeginn, von Veränderung, von einer neuen, besseren Zeit die jetzt beginnen soll. Ich habe den Verdacht, dass sich viel Unrat unter dem Deckmantel dessen verbirgt.

Wie kann Neues, das besser sein will entstehen, wenn Altes ohne Respekt und Dankbarkeit mit den Füßen getreten wird?

In meinem näheren Umfeld werden in den letzten zwei Jahren viele alte Bäume gerodet. Bäume die mir schon vor nun fast 50 Jahren als Kind Schatten gespendet haben. Naturräume die über viele Jahreszeiten hinweg gewachsen sind, sind spezielle Orte die das Landschaftsbild wesentlich prägen.

Jeder größere Baum oder Strauch dient als Orientierungshilfe in der Stadt und auf dem Land. Es sind diese lebendendigen Gestaltungselemente, die sich aus der Natur und ihrem Rhythmus heraus geformt haben und jeder Region ihr individuelles Aussehen geben.

In den Städten ist das Roden von Bäumen nur mit der Einhaltung von strengen Auflagen möglich, zum Glück!
Aber gerade am Land fallen nach wie vor freistehende Baumgruppen, solitär Bäume und Wildhecken der geringen Wertschätzung, manchem landwirtschaftlichen Grundbesitzer zum Opfer.
Die immer größeren Maschinen und Traktoren brauchen viel mehr Platz zum Agieren und so werden Felder, Äcker und deren Zufahrten immer vehementer von diesen wertvollen Flurbeständen „gesäubert“.
Leider nur zu oft befinden sich darunter wunderbare Geschöpfe wie alte Bäume, welche anderen Lebewesen Schutz und seit jeher ein Zuhause geben. Kleine Biotope die für sich eine Welt darstellen und einen wesentlichen Teil an der Biodiversität tragen.

Gerne zeigen wir mit dem Finger auf die Abholzung der Regenwälder, aber selber fällt der alte Hausholunder, der Hof-Nussbaum oder die Linde hinter der Garage einer fraglichen Anschauung von Sauberkeit und Ordnung zum Opfer.

Wo ist hier die vielfach erwähnte Nachhaltigkeit zu finden? Sie liegt nicht nur im Supermarktregal oder in der Biobaumwolle aus Indien! Der Umgang mit den Ressourcen vor unserer Tür ist ein wesentlicher Teil vom Ganzen.

 “ Stoppt den Klimawandel”, fordern dieselben Stimmen, die gleichzeitig von Flurbereinigung als Fortschritt sprechen, Emissionswerte aufwendigst messen, und Kühen und deren “Abgase” als bedenklich erachten. Ich frage mich wovor diese Stimmen mehr Angst haben. Ist es die lebendige Natur selbst, oder der Verlust ihres Einflusses darauf?


Auch die natürlich gewachsenen Lärmschutzstreifen entlang der Autobahnen weichen immer mehr hässlichen, teuren Lärmschutzwänden. Ein durchschnittlicher Baum bindet 12,5 kg CO2 im Jahr, gleichzeitig produziert er 10 000 Liter Sauerstoff pro Tag, das dem Tagesbedarf von 5 bis 10 Menschen entspricht. Ganz abgesehen davon, dass der natürliche Schatten die Umgebung kühlt und Wildtiere Schutz finden.

So vieles wird jetzt nicht nur Sprichwörtlich, den Boden gleich gemacht. Wirklich Gutes muss dem vermeintlich Besserem und Neuem ohne Reflexion weichen.

Vielleicht ist es auch das Älterwerden, dass man an Gegenwart oder Zukunft nicht nur Erbauliches findet. Wenn ich in so manch jugendliches Gesicht blicke, dann finde ich jetzt schon eine Resignation dem Leben gegenüber, die es in diesem Alter noch nicht geben sollte. Aber wundert uns das? Gerade das Vermitteln von Werten war oft die Aufgabe der Großeltern.

Wie ist es mit einer Gesellschaft bestellt die dem Alter an sich so wenig Ehre erweisen will. Alte Menschen, die auf ein langes Leben zurückblicken können und vieles aus Erfahrung zu erzählen hätten, schenkt man kaum Gehör dafür wird Google vorzugsweise zu Rate gezogen. Es scheint, dass alles was Alt ist, im besten Fall als lächerlich aber meist als bedenklich und fahrlässig gilt, und überholt gehört.

Warum ist Zeit nur mehr dazu da, um eingespart zu werden, und warum haben Beständigkeit, Durchhaltvermögen und Dauerhaftigkeit keinen Stellenwert mehr?
Weshalb wir das Leben selbst von seiner Schnelllebigkeit gejagt? Warum muss immer alles neu sein und das, was alt aussehen soll, darf es in Wahrheit nicht sein.

Der Ertrag soll Jahr für Jahr gesteigert werden. Jeder Gewinn sich beständig nach oben schrauben.  Immer mehr, immer noch grösser, noch weiter, noch schneller und noch günstiger muss es sein. Der Expansion dürfen keine Grenzen gesetzt werden.  Etwas nur in seinem jetzigen Zustand zu erhalten, wird schon als Verlust-Geschäft gewertet. Gewinn steht über den Dingen, sogar über Ethik und Moral.

Wie soll der Weg noch das Ziel sein können, wenn wir immer schneller größere Distanzen hinter uns bringen wollen?

Welchen Wert hat Gesundheit, wenn wir glauben diese kaufen zu können und die Schwere einer Krankheit von der Belastbarkeit des eigenen Bankkontos abhängig ist. Wie soll man alt werden können und gleichzeitig aber ewig jung aussehen wollen.  Die ewig Jungen, stehen der nicht erwachsen- werden- wollenden Jugend gegenüber. Keiner von ihnen will Verantwortung übernehmen.

Ächzend und stöhnend muss der alte Baum nachgeben, was kein Sturm in den letzten Jahrzehnten geschafft hat, schafft die drängende neue Zeit. Sein Feind war nicht der Borkenkäfer, auch die Herbizide konnten ihn nicht zu Fall bringen, aber die große Harvester Maschine hat dem über Jahrzehnte andauerten Wachstum in nur fünf Minuten ein Ende bereitet. Selbst die Bienen und Vögel können das Ausmaß der Tragödie noch nicht ganz erfassen, und landen auf seinen gefallenen Blüten und Ästen.

Wann werden wir beginnen zu verstehen, dass es gerade diese alten Bäume sind, die als Energiepunkte in unserer Landschaft dienen. Sie sind oberirdisch Antennen, die nicht nur Zugvögeln Orientierung geben, sondern den Kosmos mit der Erde verbinden und mit ihren Wurzeln, welches wie ein Netz die Erde durchzieht, einen grenzenlosen Informationsaustausch ermöglichen. Diese Wurzeln sind es auch, die unsere Erde beleben und gegen Erosion schützen.

All diese „Antennen“ sind miteinander verbunden und ein ständiger Austausch über Gegebenheiten jeder Art findet statt. Mit jedem Baum der verschwindet, wird dieses Informationsnetz schwächer und das oberirdische Energiefeld verliert immer mehr an Wirkung. Wir sprechen dann von einer entseelten Landschaft. 
Ich glaube jeder kennt den unterschied zwischen einem Spaziergang durch Wald und Flur und dem Laufen auf einem Fußballfeld oder gar über versiegelte Flächen! Das eine ist erhebend und energetisierend, das andere aber ist eintönig und ermüdend.


Ich kann in dieser unbedachten Abholzung keinen Fortschritt sehen und hoffe, dass das Neue auch wieder Menschen bringt, die nicht nur an Ihr persönliches, profitorientiertes Heute und Morgen denken, sondern auch an ein Übermorgen welches wieder Raum für ein Wachsen mit der Zeit gibt.
Menschen die gewachsenen Werten mehr Platz einräumen als betonierten Flächen. Wo Gewinn nicht nur eine Entwicklung nach oben, sondern auch eine qualitative Weite kennt.

Dieser Artikel entstand aus aktuell dringendem Anlass und motiviert mich einmal mehr, das Leben in meinem großen Garten, und darüber hinaus, zu hüten!

Angrenzend an meinem Garten steht ein ca. 45 Jahre alter Mammutbaum mit rund 30 Metern. Ein Blitz hat ihn vor Jahren getroffen und geteilt. Jetzt hat er vier Wipfel die seiner Gestalt noch mehr Ausdruck verleihen.
Das ist sein Gedicht:

Großer Baum, wie alt bist du eigentlich, wie lange stehst du so schon da?
Sag, weißt du wer deine Eltern sind?

Unbeweglich, fest verwurzelt, so viele Jahre schon, wolltest du nie wo anders hin?
Bequem kann ich unter deinen Ästen Schutz finden, nicht nur ich, ein ganzes Haus hätte hier Platz.
Du selbst brauchst kein Zuhause, du bist ein Zuhause.
Unzählige Vögel leben in deiner Krone, genießen die Aussicht, ziehen ihren Nachwuchs auf und finden Schutz für die Nacht.

Weit ragst du in den Himmel hinauf, und dennoch bist du ein eigener Kosmos.
Still aber nicht stumm.
Der Wind singt sein Lied in deinen Ästen, und die Sterne tanzen um dich herum.
Bist du eigentlich dem Mond dort oben näher?
Ein Blick deines Stammes entlang nach oben gibt mir ein Gefühl von Ewigkeit. Aber auch Vertrauen und Zuversicht lehrst du mich.
Du lebst Beständigkeit.
Deine Rinde mag dick sein, aber deinen Puls darunter kann ich fühlen.
Jedes Wetter, jede Jahreszeit lässt du über dich ergehen. Dem größten Sturm trotzt du unbewegt, ruhig und tief verankert, aber die kleinste Briese lässt deine Astspitzen tanzen.

Alter Baum, wirst du auch noch da sein wenn ich nicht mehr bin?
Noch heute pflanze ich einen unwahrscheinlich kleinen Samen von dir und hoffe, dass auch Er einmal, so wie du, zu einem großen Baum heranwachsen kann.

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6 Gedanken zu „Dort wo gestern noch ein Wald stand

  1. Liebe Nani,

    So wahr , was du sagst….und so weh es tut, es ist ein Zustand, der durch die Getrenntheit mit dem Leben in uns entstanden ist…..
    Es ist schon offensichtlich , dass es vielen Menschen damit nicht gut geht,…..aber es gibt trotzdem die Wahl , wie ich in meinem Leben verbunden oder getrennt leben möchte…
    Ich kann das Aussen nicht ändern, nur bei mir anfangen und einen kleinen Samen in mir pflanzen und hegen und pflegen, damit das Schöne und Wahre weiterlebt……und wieder erscheint….
    Wünsche Dir eine gute Indien Reise….bring ein paar Samen mit 😀
    Buffa

  2. Liebe Magdalena,

    Ich kann nur sagen Danke, dass du diesen Artikel rausgeschickt hast und mit der Welt teilst! Du sprichst mir wahrlich aus der Seele. Deine Worte, wo so viel Herz mitschwingt, haben mich bewegt und berührt, vor allem aber inspiriert hier auch noch mehr zu diesem Thema zu schreiben. Ich teile mein Unverständis mit dem deinen und das Unvermögen so vieler Menschen in echte Beziehung mit der Natur rings um sich zu gehen…sonst wäre es etwas schlichtweg unmöglich, zumindest nicht in diesem Ausmaß, wie es tagtäglich und ganz konkret jetzt bei diesem einstigen „Famillienwäldchen“ geschieht. Aus meiner Sicht ist es bereits 5 nach zwölf, was den Umgang mit der Natur auf diesem Planet betrifft. Auch ich hoffe aus ganzem Herzen, dass es immer mehr und mehr Menschen werden, die, in deinen Worten: „…nicht an ein persönliches, profitorientiertes Heute und Morgen denken, sondern auch an ein Übermorgen welches wieder Raum für ein Wachsen mit der Zeit gibt.“ Ich meinen eigenen Worten: …Menschen, die wirklich lebendig sind, dadurch beziehungs- und liebesfähig und sich selbst als lebendigen Teil der Natur ringsum erkennen. Menschen, die sich bewusst darüber sind: Alles, was ich dieser Natur da draußen antue, tue ich mir letztendlich selbst an.

    Danke auch für das wunderschöne Gedicht vom Mammutbaum. Es berührt mich sehr. Danke, dass du diesen Artikel geschrieben und doch noch rausgeschickt hast! Denn es hat richtig, richtig Kraft! Und aus meiner Sicht ist es genau das, was es in dieser Zeit gerade braucht.

    mit den herzlichsten Baumgrüßen,

    Alfred

  3. Liebe Nani, so wahre Worte! Mich hat das Abholzen des Wäldchens auch sehr getroffen. Ich habe dort immer meine Holunderblüten gesammelt und die Bambusgruppe bewundert. Es wird hier in Grambach immer lauter, da es immer weniger Wäldchen wie diesen gibt. Ich hoffe, unser Wäldchen auf dem Acker bleibt noch bestehen. Dein Gedicht an den Mammutbaum ist sehr berührend. So wertvoll, Deine Arbeit. Ich wünsche Dir und uns, dass Du weiter den Weg der Pflanzenseelen gehst. Alles Liebe, Diana

    1. Liebe Diana, noch steht der Mammutbaum, und ich hoffe das er bleiben wird, auch dann noch, wenn es uns irgendwann in ferner Zukunft nicht mehr gibt.
      Ich freu mich auf ein Treffen unter seiner schützenden Krone.

      Lg.
      Nani

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