Ein Sommernachtstraum

Schwerelos wie Wesen aus einer anderen Welt, schweben die Glühwürmchen durch Raum und Zeit. Abends bzw. nachts im Garten ist jetzt, wo die Tage maximal lang und die dunklen Nachtstunden auf ihr Minimum reduziert sind, eine ganz außergewöhnliche Zeit. 

Die Grillen zirpen, irgendwo in der Ferne rattern Frösche, und der Duft von frischem Heu liegt in der Luft. Es ist Sommer! 
Lautlos wandle ich durch meinen Garten. Der mächtige Mammutbaum wirkt wie ein kolossaler Berg. Still wie sein eigener Schatten, fast unwirklich, steht er da. Weit reicht er mit seinen 4 Wipfeln in den nächtlichen Himmel hinein, so als möchte er die Sterne berühren.  
Auch die mittlerweile sehr groß gewordene Weihrauchzeder macht ihrem Namen alle Ehre, und der harzige Duft mischt sich mit dem duftenden Geißblatt. Die Nachtluft ist ein perfekter Träger dafür. 

Ganz oben, hinter dem Haus, im Secret Garden, treibt der Bambus sein Unwesen, denn die vielen Regentage zuvor und das nun feucht-warme Wetter, lassen ihn förmlich explodieren. Ein beständiges Tropfen ist zu hören, es ist kein Regen, nein, es ist der junge Bambus. Auf seinen Triebspitzen bilden sich abends Guttationstropfen, die wie ein leichter Niederschlag zu Boden fallen. Was für eine potente Pflanze! 

In meinem Blumengarten komme ich aus dem Staunen gar nicht erst hinaus. Die großblütigen Nachtkerzen (Oenothera biennis) sind kurz nach Sonnenuntergang aufgeblüht, und ein sulfurisches Licht geht von ihren unzähligen Blüten aus.  
Das Aufblühen kann man wie im Zeitraffer beobachten. Eine Art innere Uhr läßt sie alle innerhalb kürzester Zeit aufspringen.  
Erst geht ein leichter Ruck durch die Knospe, dann klappt das Deckblatt zurück, die Blüte dreht sich wie eine Spirale oder Propeller auf und öffnet sich schließlich zu einer nach Vanille duftenden Schönheit. Zauberhaft! 

Dort wo sie aufblühen, gehen Lichter an, welche den dunkler werdenden Nachthimmel erhellen. Oben am Firmament die Sterne, hier im Garten die Nachtkerzen.
Der alte Lehrsatz von Trismegisto: Wie oben – so unten, wie unten – so oben. Wie innen – so außen, wie außen – so innen. Wie im Großen – so im Kleinen. – findet hier seine Bestätigung. 

Die Nachtfalter warten förmlich auf das Aufblühen, denn es gibt nicht viele Nachtblüher, die ihren Nektar so großzügig anbieten. 

Die Nachtkerze wird auch Schinkenwurzel genannt und findet in der Wildkräuterküche, längst vergangenen Zeiten gleich, wieder ihre Verwendung. 
Ihr aus den Samen gepresstes Öl ist reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und enthält wertvolle Omega-6-Fettsäuren (Gamma- Linolensäure). Anwendung findet es bei jeglicher Art von Trockenheit, ob körperlicher oder seelischer Natur. Es nährt, pflegt und schützt besonders die Haut und hilft bei Neurodermitis, PMS und in den Wechseljahren als pflanzlicher Hormonersatz.  
Es gehört erwähnt, dass, wie ihr Name “biennis” (zwei) schon sagt, es sich hier um eine zweijährige Pflanze handelt. Diese wachsen im ersten Jahr nur vegetativ, ohne zu blühen. Man muss ihnen also mit Bedacht Raum für ihr Blühen im Folgejahr geben. 

Ein leichtes Lüftchen streift durch den Garten und bringt Bewegung in die magische Stille. 
Ein anderer, kaum wahrnehmbarer Duft wird von der Nachtluft herbeigetragen. Es ist der Stechapfel (Datura stramonium) mit seinen subtil blauen Blüten. Hypnotisch ist fast alles an ihm. Er gehört zu den Nachtschattengewächsen und trägt sein Gift (Tropan-Alkaloide) in allen Teilen, besonders in den Samen, welche in stacheligen Kapseln (Äpfel) verborgen sind.
In Indien, von wo ich auch die Samen mitgenommen habe, ist er dem Gott Shiva geweiht. Er ist es auch, der jegliches Gift schluckt und damit die Welt vor ihrem sicheren Untergang bewahrt.  
Datura-Arten gibt es viele und ihre Herkunft ist kaum mehr nachvollziehbar. Diese Pflanze ist ein Kosmopolit. 

Die Blüten sind trichterförmig, mit einer kunstvollen Mitte ausgestattet, und ziehen den Betrachter förmlich in ihren Bann. Die Stacheln der Äpfel können richtig schmerzhaft sein, wenn man sie unbedacht berührt. Ich schaffe es selten ungestraft, eine Datura zu schneiden, um ihr Ausbreiten etwas zu kontrollieren. Meistens trage ich als kurzes Andenken ein warnendes Stechen davon. 

Man sagt dieser alten Kultpflanze auch nach, dass diese im Körper für alle Zeit gespeichert bleibt, wenn man einmal mit ihrem Gift in Berührung gekommen ist, und Jahre später, durch irgendeinen Auslöser aktiviert, seine Wirkung zeigen kann.  Eine Art Gedächtnis-Wirkung. 

Ich persönlich liebe diese Pflanze, und wir sind uns schon oft sehr nahegekommen. Allein der Duft vernebelt die Sinne, doch bis heute hat sie mir augenscheinlich nichts nachgetragen.  
Auch ihre Blüten blühen hauptsächlich nachts und sie drehen sich aus einer Spirale heraus auf, aber viel langsamer als es bei den Nachtkerzen zu beobachten ist. 

Beide dominieren meinen Blumengarten nachts, und zusammen mit den Nachtviolen und dem Nachtjasmin (Cestrum noctorum oder in Hindi, Rat ki Rani-Königin der Nacht) die nur in der Nacht duften, gibt das ein schönes, sinnlich duftendes Bild ab, besonders zu Vollmond. Nachtblühende Pflanzen haben oft sehr verlockend Gerüche oder helle, leuchtende Farben, um den Nachtschwärmern ein deutliches Signal zu senden.  

Gemeinsam mit den letzten Glühwürmchen scheint es so, als wollten sie alle zusammen Licht ins Dunkel bringen. 

Ich habe beschlossen, die Nachtkerzenblüte als spagyrische Essenz zu verarbeiten. Im Mondlicht lasse ich sie über Nacht, angesetzt in ein Mensturm (Aufschließungsmittel), stehen.  
Sie ist stark vom Mond signiert. Ihre feuchte Eigenschaft, die klebrig-nassen Knospen und ihre schleimige Natur, zusammen mit dem modrig-süssen Vanilleduft, zeigen dies an. Auch der schwebende, kolloidale Eindruck und das nächtliche Blühen sind von “mondiger” Natur. 

Natürlich ist ihre hell-sulfurische Blüte und ihr üppiges, großzügiges Auftreten auch ein Zeichen für eine joviale Signatur. Gerade Pflanzen haben meist mehrere Planetenkräfte, die durch sie wirken, das macht sie so vielseitig und gleichzeitig einzigartig in der Zusammensetzung. 
Ich denke, die Stärke dieser Blüte liegt darin, Licht in die dunkelsten Ecken unseres Daseins zu bringen. Sie beleuchtet das Geheimnisvolle, das Verborgene. 

Die Datura ist da etwas anders zu verstehen. Abgesehen von ihrer hypnotisierenden Natur, “blendet” ihre Blüte das Augenscheinliche und läßt die Schatten(-Seiten) hervortreten. Das zu Erfahrende vermittelt sich mehr über das Fühlen als einem Sehen. 

Manchmal habe ich das Gefühl die ganze Welt im Garten zu haben. Es ist jedes Mal von Neuem eine spannende “Reise”. 
 
Die kleinen Fledermäuse segeln jetzt durch die Nacht, die Gelsen warten bis zum Morgengrauen auf ihre nächste Attacke, und auch die umherlaufenden Igel haben ihr Ziel erreicht.  
Es ist eine laue, kurze Sommernacht, und Morgen, solange der Tau noch nicht getrocknet ist und die Sonnenstrahlen die Nachtblüher nicht berühren, bleiben sie uns noch für eine kurze Zeit erhalten.
Aber wie ein Vampir verfallen diese, sobald das Licht des Tages die Nacht und ihren Zauber besiegt hat. Zurück bleibt die Erinnerung an einen Sommernachtstraum. 

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2 Gedanken zu „Ein Sommernachtstraum

  1. Liebe Magdalena,

    Wow, was für ein wunderschön, poetisch fließend geschriebener Artikel…gleich einem Sommernachtstraum. Ich konnte da sehr mit eintauchen in diese mystisch-magische und nacht-duftende Welt. Und das Wesen der Nachtkerze und des Stechapfels hast du für mich ganz wunderbar erfasst, dass ich ganz inspiriert von der Wortwahl bin….als ob die Pflanzen da selber durch dich gesprochen haben. Ich bin ja grade auch sehr in Kontakt mit diesen Dämmerungsblühern und grade bei der Nachtkerze frage ich mich, was die denn alles an Ressourcen für den offenen Geist bereitstellt.

    Danke fürs Teilen dieser „dunklen“ Pflanzengeheimnisse 🙂

    herzlichst,

    Alfred

    1. Lieber Alfi…dann lade ich dich gerne ein die spagyrische Essenz zu probieren.
      Sie ist überraschend süss geworden.
      D.h. es steckt viel Süsses, also Nährendes in ihnen.

      Herzlichen Dank für deine wunderbare Resonanz!

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