Von Nachbars Kirschen und dem Kirschbaum in meinem Garten 

Der alte Kirschbaum blüht endlich wieder. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass dieser Baum jemals anders, jünger ausgesehen hat.  
Er steht im alten Teil des Gartens, unweit von ihm thront der mächtige Mammutbaum mit seinen 30 m Höhe. Beide sind ungefähr gleich alt, und das, was ihm, dem Kirschbaum, an Höhe fehlt, macht jener mit seiner knorrigen, bemoosten Gestalt wett. Er schaut um keinen Tag jünger aus als der Mammutriese.  

Jetzt wo er blüht, stiehlt er allen rund um sich herum die Show. Er ist ein Bienenhotel, und das Brummen und Summen hüllt ihn gänzlich ein. Ich habe das Gefühl, die Bienen warten förmlich im Frühling darauf, dass er erblüht. 

Es freut mich auch, dass er heuer (bis jetzt) keinen Spätfrost erlitten hat.  
So steht er nun da, wie eh und je, Moose und Flechten finden ein Zuhause auf seinem knorrigen, fast schuppigen Stamm.  
Er ist, was das betrifft, sehr geduldig. Ich habe sogar gesehen, dass in einem alten Astloch, eine kleine Hasel gekeimt und ebenso ein Zuhause gefunden hat. Die Haselnuss muss wohl zuvor ein Specht “gepflanzt” haben.
 
Dort und da hat er dürre Äste, aber das ist normal für sein Alter, und gerade das gibt ihm jetzt gemeinsam mit seiner Blütenpracht ein sehr konträres Bild. Mit seiner dunklen, bepelzten, fast leblos wirkenden Rinde und den abgestorbenen Ästen wirkte er zuvor eher tot. Überraschenderweise steckt jedoch soviel Kraft und Leben in ihm, dass er sich in ein derartig verschwenderisches Blütenkleid hüllen kann.  

Die Natur kennt keine Sparmaßnahmen und keinen Geiz. Von einem Sparpaket hält sie wenig, denn sie weiß, es gibt nur ein Hier und Jetzt. Mit vollen Händen streckt sie ihre Gaben jedem entgegen.  

Auch die Wiese, die unter dem Baum blüht, Gänseblümchen und Wolken von blauer Veronika, strecken ihm ihre Köpfchen entgegen. Denn seine lockere Belaubung unter dem Jahr, lässt auch anderen Pflanzen genügend Licht zum Gedeihen.  In seinen Ästen hängt ein altes Vogelhaus, und schon früh im Jahr wird darum heftig gestritten, ist es doch unter den Vögeln ein sehr beliebter Nistplatz. Dieser alte Baum ist ein Lebensraum an sich. 

In jedem Garten sollte er seinen Platz haben, schon allein deshalb, um nicht auf die begehrten und sprichwörtlichen Kirschen in Nachbars Garten angewiesen zu sein. 
Ist doch auch im Volksmund bekannt, dass nicht mit jedem gut Kirschen essen ist! 

Der Gärtner empfiehlt den Kirschbaum nicht mehr umzupflanzen, wenn er einmal angewachsen ist. Das mag er nicht. Hat er einmal Wurzeln geschlagen, dann möchte er auch dort bleiben.  
Im Spätsommer ist er der erste, der seine Blätter färbt und verliert. Früh zieht er sich zurück, weil er doch auch schon sehr früh im Jahr “aufgestanden” ist. 

Der alte Brauch, sich am Tag der Hl. Barbara, 4. Dezember, sogenannte Barbarazweige, also Kirschzweige, in die warme Stube zu holen und zu hoffen, dass diese zu Weihnachten blühen, ist immer noch weit verbreitet. Auch wenn der eigentliche Grund, dass dann eine Hochzeit ins Haus stehen mag, nicht mehr vordergründig ist. 

Kirschbäume, ob es sich nun dabei um Wildformen wie die Vogelkirschen oder die edlen Gartensorten sowie die gefüllten Zierkirschen handelt, alle gehören sie zur Familie der Steinobstgewächse und heißen lat. Prunus.
Auch Zwetschke, Pflaume, Mandel, Schlehe, Pfirsich, Mirabelle und viele mehr gehören hier dazu.

Steinobstgewächse sind auf unserem Globus weit verbreitet. Denken wir nur an die berühmte Kirschblüte in Japan oder die Marillenblüte in der Wachau, ein Zeugnis dafür, dass Pflanzen zu Kulturpflanzen werden, nicht nur weil sie uns ernähren, sondern weil sie auch unser Leben, unsere Bräuche und ganze Länder und deren Völker beeinflussen und wesentlich mitgestalten. 

Auch das Kirschholz ist sehr beliebt bei der künstlerischen Holzverarbeitung, wie dem Drechseln. Es ist rötlich, und dunkelt mit der Zeit immer mehr nach.  
Der Baum gibt auch als eine Art Harz das oder den Kirschgummi ab. Gegen Halsweh und Husten wird dieser gerne gekaut, aber auch in heißem Wasser aufgelöst und getrunken, hat er eine wohltuende Wirkung. Verarbeitet in Salben diente er früher auch zur Wundheilung.
 
Große Heilkundige, wie Paracelsus, verwendeten seine Blüten zur Förderung der inneren Schönheit und Klarheit, weiters sollen sie die Abnabelung vom elterlichen Umfeld erleichtern. Der Kirschbaum zählte dabei auch zu den großen Herzmitteln. Besonders die Kirschstiele werden bei Herzthemen und Bluthochdruck in der Spagyrik heute wieder mit Erfolg eingesetzt.
In der Bachblütentherapie verhilft „Cherry Plum“ zu mehr Gelassenheit, Mut und Spontanität. 

Im Vordergrund jedoch steht der süß-säuerliche Geschmack der mehr oder weniger roten Früchte. Oft ist es ein um-die-Wette-Ernten mit den Vögeln, die nur darauf warten, dass die Früchte, oft schon im grünen Zustand, verzehrt werden können. Frisch vom Baum gepflückt und genossen, sind Kirschen ein Geschenk im frühen Sommer, man fühlt sich wie im Schlaraffenland.  
 
Wer hat keine Erinnerungen daran, als Kind im Kirschbaum sitzend, direkt vom Baum genascht zu haben.  
Jedes Kind kennt (hoffentlich) Kirschen, und weiß diese zu malen, sie gehören wie der Apfel zu einer jenen Früchten, die wohl schon im Garten Eden zu finden waren. Übrigens soll ein Nickerchen unter einem blühenden Kirschbaum zu Klarheit über anstehende Entscheidungen verhelfen.  



Der Kirschenbaum
Heut hatt‘ ich einen Kindertraum
Sein Inhalt war: ein Kirschenbaum,
Sonst nichts. Der war so kirschenschwer,
Man sah von seinem Grün nichts mehr.

Der rote Baum stand ganz allein
Und strahlte nur von Sonnenschein.
Die Kirschen waren wie aus Glas,
Was für ein heller Glanz war das!

Wie ich so in die Kirschen guck‘,
Aus jeder Kirsche, wie ein Spuk,
In kirschen-, kirschenrotem Licht
Lacht mir entgegen mein Gesicht.

Zehntausend Kirschen sicherlich,
Nicht übertrieben, zählte ich;
Nun stellt euch vor, zehntausendmal
Lacht‘ ich mich an im Sonnenstrahl!

Da ich schon lange aufgewacht,
Hab‘ ich noch vor mich hingelacht
Und lag und lag noch halb im Traum
Und lachte in den Kirschenbaum.


  Hugo Salus . 1866 – 1929


 

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2 Gedanken zu „Von Nachbars Kirschen und dem Kirschbaum in meinem Garten 

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