Von der Gelassenheit des Tauziehens

Wie schnell es doch manchmal gehen kann! Gestern noch musste ich im Garten Schatten suchen bzw. meinen Sonnenhut tragen, und heute habe ich eine Haube auf und suche die Sonne.

Die Natur überholt sich manchmal selbst und das in jede Richtung. Was auch immer diese raschen Wechsel hervorruft, darüber mögen sich die “Experten” streiten, ist es immer wieder bemerkenswert mit welcher Geschwindigkeit sich dies vollzieht.

Das Auf und Ab der Jahreszeiten, gerade jetzt, wo Frühling und Winter tauziehen, lässt sehr viel volatile Energie frei werden. Ungeduld oder übereiltes Handeln kann unliebsame Folgen haben.

Auch für den Menschen, wenn ihn das Leben jagt oder das Schicksal plagt, kann die Welt von einem Moment zum anderen ganz anders aussehen. Die Emotionen können dabei wie von einem unsichtbaren Hebel ausgelöst, so scheint es, umschlagen oder hochgehen.
Ob es sich bei der stark wechselhaften Natur auch um eine Art überschießende Reaktion oder Emotion handelt?

Gestern erst streckten die Blüten ihre Köpfe der Sonne entgegen, das eine oder andere Blatt ließ sich zum Schutz gegen Verdunstung hängen. Heute aber platscht der Regen darauf, und die Blüten bleiben entweder geschlossen oder fallen ab. Das eine oder andere junge Kraut muss sogar vor einer zu kalten Nacht geschützt werden. Alles ist jetzt möglich, wir haben (noch) April!

Die Natur, so sagt man, bewertet nicht, hat keine Lieblinge, die bevorzugt werden, noch bekämpft sie, was ihr scheinbar zuwider läuft..

Ich glaube, darin liegt der große Unterschied zwischen Mensch und Natur. Letztere nimmt die sich rasch wechselnden Phasen als gelassen und geduldig hin. Es ist halt einfach so, wie es ist – und morgen ist ein neuer Tag!
Was oder bei wem will man sich beklagen über Umstände, die nicht zu ändern sind?
Ist nicht der Sonnenschein von morgen, genauso weit entfernt, wie der Regen es gestern noch war?

Auf meinem Gang durch den regennassen Garten habe ich heute den Salomonsiegel ( Polygonum  multiflora) unbeirrt und “schön frisiert” stehen sehen. Die Neugierde hat mich dann von einem zum anderen gebracht, und ich habe herausgefunden, dass gerade sein Rhizom in der chinesischen Medizin als eine adaptogene Unterstützung verwendet wird. Wir sehen in dieser Pflanze einen Helfer, der uns die Anpassung erleichtert.

Der Begriff „adaptogen“ leitet sich aus der lateinischen Sprache von dem Wort „adapto“ ab und bedeutet auf Deutsch „anpassen“.
Pflanzen welche diese Wirkung zugesprochen wird, ermöglichen uns, mit schnell wechselnden und extremen Umständen umzugehen. Unser Körper empfindet Zustände der Extreme als Stress, und die Wirkkräfte bestimmter Pflanzen bringen uns schneller wieder ins Gleichgewicht zurück. Im Osten würde man sagen, sie lassen uns schneller wieder zur Mitte zurückfinden.

Adaptogene unterstützen unsere Widerstandsfähigkeit, mobilisieren Kräfte, fördern die Ausdauer und helfen uns dabei, nach großer Anstrengung, schneller wieder zu regenerieren. 
Das ist Leistung, die auf Nachhaltigkeit baut.

Ein wichtiger Vertreter der Adaptogene ist die Taigawurzel ( Eleoutherococcus senticosus) der sibirischer Ginseng. Die Wurzel wird in dessen Heimat verwendet, wo körperliche Strapazen durch harte Arbeit und sehr große Temperaturschwankungen gängig sind. Seine Kraft dient zur Unterstützung bei hoher Belastung und verhilft zu einer rascheren bzw. kürzeren Erholungsphase.

Es wurden viele Untersuchungen auf diesem Gebiet mit der Taigawurzel gemacht. Versuche und Anwendungen in der Armee sowie beim Extremsport sind sehr vielversprechend.

Auch die Rosenwurz (Rhodiola rosea) gehört hier dazu. Chinesische Kaiser, welche ständig auf der Suche nach dem Geheimnis eines langen Lebens und der Unsterblichkeit waren, schickten Expeditionen nach Sibirien wegen dieser begehrten Wurzel.
Der echte Ginseng ist weithin bekannt und hat hier ebenso seinen Platz.
Die meisten Adaptogene sind immunstimulierend, blutreinigend oder aufbauend, auf ihre Art nährend, antioxidativ, cholesterinsenkend und meist durchblutungsfördernd. Oft regen sie die Nieren – oder Herztätigkeit an und sind Nerventonika und wirken gleichzeitig beruhigend.

In Indien, aus dem großen Schatz des Ayurveda, würde ich den Ashwagandha (Withania somnifera) hervorheben. Gerade in dieser Heiltradition gibt es viele starke Pflanzen die beispielsweise in der Rasayana Kur (Verjüngungskur) und Panchakarma Kur (Entgiftungskur), ihren Einsatz finden.
Die Ashwagandhawurzel fehlt in fast keiner Rezeptur. Sie hat die Kraft, Entspannung zu ermöglichen, wo es notwendig ist, und gleichzeitig kann sie die Kraft eines Pferdes verleihen. Der Name bezieht sich auf den pferdeschweißähnlichen Geruch. Mit ihrer beruhigenden Wirkung löst sie Angstzustände und hilft bei nervöser Erschöpfung.
Es ist ein erholsamer Schlaf und die Besonnenheit, die dem “Helden” zum Sieg verhelfen!

Wir haben auch in unseren Breiten Wurzeln, die genauso gern und gut unterstützen. Die Angelikawurzel mit ihrem inneren Feuer durchlichtet den Körper. Wie eine Säule verbindet sie uns mit dem Oben und Unten. Ihre pure Kraft strömt durch unseren Organismus.

Auch der grüne Hafer ist hier zu erwähnen. Er beruhigt und tonisiert die Nerven, nährt die Gewebe und holt überschießende Emotionen wieder zurück ins ruhige Wasser. Jede Art von nervöser Erschöpfung, ob aus Angst, Überbelastung oder allgemeiner Überforderung des Systems, findet damit Erleichterung.

Anpassung geschieht immer auf zwei Säulen. Durch ein Zuviel gibt es Spannung bzw. Verspannungen, die gelöst werden wollen. Und gleichzeitig brauchen wir Kraft und Ausdauer, um den Aufgaben gewachsen zu sein. Wir finden auch hier das Bild des Tauziehens.
Kraft und Muskelspannung sowie Entspannung und Erholung stehen sich gegenüber und doch gehen sie Hand in Hand.  Wir können uns nicht vor allem und jedem schützen, aber wir können uns durchgängiger machen gegenüber anstrengenden oder belastenden Umständen oder Einflüssen.

Adaptogene Pflanzen sind die willkommenen Helfer um uns den Dingen anzupassen, die wir nicht ändern können.

Ob nun innen oder außen der Sturm tobt, Standhaftigkeit mit der nötigen Flexibilität lässt uns verwurzelt wie ein Baum und zugleich biegsam wie ein Grashalm jede Bewegung mitmachen.

Viele dieser adaptogenen Kräfte stecken in den Wurzeln, welche dem Erdelement zugehörig sind.
Ein Beispiel ist die Süßholzwurzel, die in diese Gruppe hineingehört.
Durch ihre Süße nährt sie das Element, welches unter anderem für eine gute Erdung verantwortlich ist und uns eine sichere Basis verschafft.
Gleichzeitig nährt und regeneriert das Süßholz unsere gesamten Schleimhäute. Atemwege und Verdauungsorgane, mit ihren Schleimhäuten, sind große Eintrittspforten in den Organismus und werden in einen Schutzmantel gehüllt.

In unseren Gärten nehmen wir dafür gerne die Malvenwurzel. Heimisch und weit verbreitet, ist sie eine sehr geschätzte Heilpflanze.

Mit diesen ausgleichenden Wirkkräften können wir uns getrost von Wind und Wetter, und den Gezeiten des Lebens umspielen lassen.
Solange wir eine gute und genährte Verwurzelung mit der Erde haben, wirft uns nichts so leicht um. Das Tauziehen ist dann viel mehr das große Spiel des Lebens und Belastungen jeglicher Art finden Entlastung, damit die Freude am Spiel nicht verloren geht.

Der altbekannte Spruch bringt das sehr schön auf den Punkt:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

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