VON NAH UND FERN

Vor wenigen Tagen erst bin ich von einem Besuch aus Indiens Garhwal – und Kumao Region im Himalaya zurückgekommen – nun spaziere ich staunend durch meinen Garten. Viel hat sich in der kurzen Zeit getan. Die Sternmagnolie und die Scheinhasel sind in voller Blüte, auch die Marille und Zierkirsche steht prachtvoll da. In jeder Ecke regt und streckt sich ein Kraut oder ein Blümchen der Sonne entgegen. Sogar meine Alraune lacht mir mit ihren blas-lilafarbenen Blüten entgegen.  

Überrascht stelle ich fest, dass eine meiner freilebenden steirischen Steinhühner, ihre ersten Eier ausgebrütet hat. Heuer sind es richtige Osterküken!  

Die junge Henne hat eben erst das erste Mal ihr Nest verlassen und nun lockt sie mit viel Geduld, die zwei Tage alten Küken heraus. Es ist ihr erster Nachwuchs, und ganz vorsichtig zeigt sie ihren Kindern wie man den Boden schert und daraus köstliche Leckerbissen hervorholt.  

Viel hängt vom Muttertier und ihrem Können ab. Ob und wie sehr sich die angelernten Fähigkeiten auf die Überlebenschancen der Jungen in Zukunft auswirken, wird sich noch zeigen. Es ist die Mutter, die die Rolle der Lehrerin gänzlich übernimmt. Den Mut zum Leben und das Umgehen mit Gefahr lernen die Kleinen, indem sie aufmerksam alles nachmachen, von der Henne. 

Unter den blühenden Zierkirschen lasse ich mich nieder, denn das Summen der Bienen wirkt beruhigend. Wie ein andauerndes OM erfüllt es die warme Frühlingsluft. Es könnte auch ein Hmm sein, ein wohliges Genießen des frühen Nektars dieser Saison. 

Selbst in Indien ist jetzt Frühling. Im Himalaya ist er fast wie bei uns. Ich habe auf ca. 3500 m, beim Aufstieg zu einem Tempel, Mehlprimeln, Bergenien und Seidelbast im knorrigen Rhododendronwald gesehen. Auch Kirsch – Pfirsich – und Apfelbäume blühen in weniger hohen, geschützten Lagen.  

Am 25. März wird Holi, das Farbenfest gefeiert, es kommt einem Frühlingserwecken gleich. Auch dort ist die Saison sehr kurz, denn ab April ist es schon sehr warm, und im Juni legt dann der Monsun vom Süden her los und überzieht das Land. 

Ich erinnere mich gerne an die alten Bergtempel und ihrer körperlich spürbaren Ausstrahlung. Herrliche Bauten, wundersame und geheimnisvolle Orte. Seit jeher werden dort Rituale abgehalten. Diese Steinbauten, sofern man sie datieren kann, sollen bis auf das 9. Jhd. zurückgehen.  

Auffällig war, dass bei all diesen energetisch geladenen Plätzen, uralte Bäume eine wesentliche Rolle spielen. Sie werden dort genauso verehrt, wie die Götter in ihren Tempeln selbst.  

Ob alleinstehend oder direkt in Tempelanlagen integriert, sind sie bekannt als wunscherfüllende Bäume die unter anderem Kindersegen bringen mögen. Die Frauen knoten dazu kleine Püppchen, Armreifen oder Stoffstreifen an ihre Äste.  

Auch gelten sie als weise, „sprechende“ Bäume. Gekennzeichnet mit roten Baumwollfäden, die um ihre dicken Stämme gewickelt werden, kleinen Öllämpchen, Glöckchen, Räucherwerk, sowie die eine oder andere Götterstatue zu ihren Füßen, stehen die alten Riesen majestätisch da. Betreten wird die unmittelbare Nähe der Bäume, so wie es auch bei Tempelanlagen üblich ist, ohne Schuhe. 

Diese Bäume finden wir, wie schon erwähnt nicht nur in Anlagen, sondern auch landschaftsprägend in Feldern, Dörfern und Städten. Sogar Straßen werden um sie herum gebaut. Sie sind auch ein wesentlicher Bestandteil bei Wegbeschreibungen die man gerade als Fremder sehr schätzen lernt.  

Es handelt sich vor allem um Ficus Arten wie den Ficus religiosa, mit seinen herzförmigen Blättern die wie unsere Pappeln mit dem Wind sprechen. Buddha soll unter seinen Ästen, in Bodh Gaya, Erleuchtung gefunden haben. Er ist als Bodhi tree oder Peepal tree bekannt.  

Ficus benghalensis, der Banyan tree, macht unzählige Luftwurzeln, welche selbst wieder zu Baumstämmen werden, sobald sie in den Boden wachsen. In Calcutta habe ich das größte Exemplar des Subkontinents gesehen, wo aus einem Baum ein ganzer Wald gewachsen ist. Im Himalaya sind es in höheren Lagen die Himalaya Zedern, die Deodar, welche sogar unter strengen, staatlichen Schutz stehen. 

Gerade in einem Land, wo Armut weit verbreitet ist, würde trotzt des hohen Holzbedarfs und horrenden Holzpreisen, niemand auf die Idee kommen diese lebenden Tempel zu fällen.  

Feuerholz hat in Indien einen sehr hohen Stellenwert, am Land und in den Dörfern wird größtenteils das Essen auf offenem Holzfeuer gekocht, es ist also essenziell für die Bevölkerung. Auch zur rituellen Leichenverbrennung bedarf es Berge von Holz, welches oft nur schwerlich erspart werden kann – trotzdem bleiben die alten Riesen unangetastet.  

Selten sitzt man allein unter diesen lebenden Tempeln. Vogelscharen, Affenhorden, Streifenhörnchen, Kühe und vieles mehr ziehen sie an. Mensch und Tier suchen diese harmonischen Plätze auf. Sogar orangegewandete Sadhus finden immer wieder für einige Zeit ihr Zuhause unter diesen Bäumen, und die nahe wohnende Bevölkerung besucht gerne diese Fremden unter ihrem weisen Baum.  
Der Platz selbst wird dann oft zu einer richtigen Pilgerstätte. Es wird dort aber auch genauso gern Karten gespielt und der Schatten lädt nicht selten zu einem Mittagsschläfchen ein. 

Auch bei uns war die Dorflinde oder Eiche ein Treffpunkt für Alt und Jung. Feste sowie das Gericht wurde unter ihnen abgehalten.  

Das Verbreitern der Straßen, steigende Grundstückspreise und das allgemeine Zupflastern, haben ihnen den Platz aus unserer Mitte genommen und gemeinsam mit ihren „Erinnerungen“ sind sie aus unserem Gemeinschaftsgefüge verschwunden. Das Dorf verlor seinen Mittelpunkt, seinen Treffpunkt, die Straße wurde von einer Umfahrung abgelöst und der Austausch von Neuigkeiten, das Gesellschaftliche, verschwand hinter die eigenen vier Wände und endet schließlich vor dem Fernseher oder dem Mobiltelefon. Wir schreiben uns lieber Kurznachrichten, als das wir uns unter den Bäumen treffen. 

Vieles mag sich auch in Indien ändern und es ist bei Weitem nicht alles Ideal, aber die Wertschätzung gegenüber dem Alter bleibt offenbar unangetastet.  

Es war zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft in Indien, das ganze Wälder dem Bau der Eisenbahn und dem allgemeinen „Fortschritt“ zum Opfer fielen. So waren es auch die Engländer, die seiner Zeit versucht haben, mit einer importierten Pinus Art, dem Kahlschlag der Zedernwälder entgegenzuwirken. Denn gerade das ungezieferresistente Zedernholz war wegen seiner Langlebigkeit sehr beliebt.  

Noch heute findet man Häuser in entlegenen Himalaya Dörfern, wo wunderschön geschnitzte Zedernholzportale viele Hundert Jahre alt sind.  

Die Pinus wurde wegen ihres schnelleren Wuchses gewählt, leider stellte sich heraus, dass sie auch viel mehr Wasser dem Boden entzieht als die heimische Zeder und ein Pinus Wald, wie eine Monokultur dasteht, ohne dass auch nur irgendetwas anderes, wie Büsche oder Sträucher, als Unterwuchs zu finden sind.  

Es ist gerade dieses Buschwerk, dass die Frauen in den Bergen aber für ihre Rinder und Ziegen als wichtige Futterquelle ernten.  

Langsam und hoffentlich behutsam, versucht die Regierung nun der Zeder wieder ihren Raum zu geben, indem die Pinus Wälder wieder abgeholzt und Zedern gepflanzt werden. Ein empfindliches Vorhaben, denn wegen der starken Bodenerosion im Himalaya gibt es nichts gefährlicheres als kahle Berge. Immer wieder rutschen ganze Berghänge herunter und begraben Dörfer und Straßen unter ihren Massen. 

Aber nun von Indien zurück in den Garten. Mein Hahn, wäre er in Indien, würde jetzt wohl auch unter so einem alten Baum Gesellschaft suchen, es ist ihm seine Langeweile anzusehen. Die Henne hat für die nächsten Wochen anderes zu tun und er ist dabei ziemlich überflüssig. Selbst seines Schutzes bedarf es derzeit nicht. Fürsorge und Verteidigung für ihren Nachwuchs übernimmt die Mutterhenne jetzt voll und ganz. 

So wie in Indien der Frühling mit großen Schritten durch das Land eilt, so tut er es auch hier. Und so wie wir uns „Frohe Ostern“, mit bunten Eiern (von unseren Hennen) wünschen, so wünschen sich die Inder mit ihrem bunten Farbenfest, „Happy Holi!“.
Eine gewisse Nähe, ist trotz der Entfernung, oft gar nicht so weit hergeholt – und vielleicht findet auch die eine oder andere noch existierende Dorflinde Besucher unter ihrer Krone wieder. 

In diesem Sinne, „Happy Holi“ und „Frohe Ostern“.

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2 Gedanken zu „VON NAH UND FERN

  1. Liebe Shivani, so fern und doch so nah, a big hug, nachtraeglich frohe Ostern und Happy Holi 🎊🤗🎊 sehr schoen Dein Beitrag👌😍🙏

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