Ganga, eine Flussreise in die indische Mythologie

„Unter den Flüssen bin ich der Ganges“, mit diesen Worten verglich sich einst Krishna selbst mit mir in der Bhagavad Gita.

Wenn ich heute darüber nachdenke, wie meine Geschichte, meine Reise begann, kann ich es selbst kaum glauben, welch großartige Verwandlung ich erfahren habe.
Aus einem vorlauten Handeln heraus bekam ich diese, meine Aufgabe, mein Dharma.

Geboren aus einem Tropfen Wasser, der Vishnus Zeh berührt hatte und von Brahma, meinem Ziehvater, persönlich aufgefangen und verwahrt wurde, lebte ich in Swarg Lok, dem Reich der Götter, im Land der Wolken.
Ich wuchs frei und wild auf, war überall gerne gesehen und hatte meine Freude an diesem ungezwungenen Dasein. Der Raum in Swarg Lok ist unbegrenzt und es ist so gut wie alles möglich. Ein Gedanke alleine genügt und das Ergebnis liegt vor einem.

Eines Tages bekam Brahma, mein Ziehvater Besuch, Besuch von dem alten, weisen Durvasa. Er war  dafür bekannt, launisch und unberechenbar zu sein. Überall wo er hinkam, stiftete er Unfrieden.
Als artige Tochter saß ich im Bereich der Frauen, getrennt durch einen Vorhang und lauschte seinen Worten. Sein Besuch neigte sich dem Ende zu und am Weg durch unseren Garten ergriff ihn eine Windböe und durchfuhr seine hagere Gestalt. Sein Gewand löste sich und für einen kurzen Moment erhaschte ich einen Blick auf etwas, das sich für Frauen nicht ziemte zu sehen. Vor Schreck über diesen Anblick entfuhr mir ein Aufschrei, gefolgt von einem verlegenen Lachen. Der Wind trug das sogleich an die Ohren des Rishis.
Konnte das ein Zufall sein?

Beleidigt und nachtragend wie er war, war das der Auslöser für den weiteren Verlauf meiner Geschichte, der Geschichte ganz Indiens.

Als Strafe sollte ich meine Familie, mein gewohntes Umfeld verlassen und auf die Erde, nach Kam Lok, dem Reich der Verdichtung, geschickt werden.

Alles Flehen und Bitten zeigte keine Wirkung. Ich war dazu verdammt, mein Wasser der Reinigung beschmutzter Seelen zu überlassen, solange bis es seine vollkommene Reinheit verloren hat.  Dann, wenn die letzte Seele eingetaucht ist, um sich von ihren  Altlasten reinzuwaschen. Ich sollte den Himmel verlassen und fortan auf der Erde verweilen, dort, wo  das Kali Yuga, das dunkle Zeitalter vor der Tür stand und wir alle wissen, dass es von Irrungen des menschlichen Geistes gezeichnet sein würde.

Natürlich war ich traurig und wütend über die harte Strafe dieses unnachgiebigen Alten. Unmut und Zorn ließen mich so aufbrausend werden, dass Kam Lok, die Erde, drohte darunter zu leiden. Das heißt, ich war im Begriff, mit voller Wucht auf sie hernieder zu stürzen und alles was sich mir in den Weg stellt, zu vernichten.

Die Götter erkannten die Gefahr und eilten zu Shiva. Dieser war wie so oft in seine Tagträume versunken. Auf seinem Berg in völliger Abgeschiedenheit thronend, eingehüllt in Luft und Asche, saß er völlig unbewegt auf seinem Fell. Der Rauch des letzten Feuers war längst verzogen, er schien bereits zu Stein geworden zu sein.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich in seinem Körper wiedergefunden hatte. Sofort aber erkannte er die Gefahr und stellte sich an die Grenze zwischen Himmel und Erde, den Himalaya.  Ich sollte seine Gestalt, vielmehr seine verfilzten Haare als Dämpfer bzw.  als eine Art Wasserrutsche benützen, um damit sanft auf die Erde herabzufließen. Das gefiel mir wenig, denn mein Zorn war groß und ich wollte ihn zum Ausdruck bringen. Aber Shiva war schneller, denn ich hatte den Gedanken zur Flucht noch nicht zu Ende gedacht, da öffnete er schon seine Haarlocken und verdeckte damit den gesamten Himmel. Mit all meinen Wellen war ich darin gefangen und so wickelte er seine Haare zu einem mächtigen Knoten auf seinem Haupt zusammen. Kein Tropfen Wasser fiel auf die Erde.

Der Mond in seinem Haar, den er immer als Zierde dort verankert mit sich herum trägt, sollte mein Gemüt beruhigen.

Ganz kurz nur, es war wie ein Aufblitzen von Licht, sah ich mein Spiegelbild im  Mond reflektiert. In diesem Moment erkannte ich mein ganzes neues Dasein.

All jene, die den Weg zu mir suchen, werde ich in meine Arme nehmen. Und auch wenn mein Wasser nicht mehr so rein sein wird, wie es ursprünglich war, so wird es doch viele Zeitalter lang meine Aufgabe, mein Dharma sein. Solange, bis die letzte Seele sich mir anvertraut hat. Mir war nun bewusst, wie groß und wichtig meine Aufgabe war.

Mit neuer Zuversicht und ruhigem Wasser öffnete Shiva seine Locken und entließ mich vorsichtig. Ich floss über sein Haar ganz sanft herunter und berührte das erste Mal die Erde, mein neues Zuhause.

Ich war nun zum zweiten Mal geboren, geboren in einer neuen Welt, der Welt der Verdichtung. Ein Ort, wo jeder Schritt getan werden musste, wo es nicht ausreichte, ihn nur zu Ende gedacht zu haben.

Dort angekommen, wusste ich erst nicht, wohin. Das ganze Land lag vor mir. Möglichkeiten gab es viele, mir fehlte der Fokus, ich konnte mich nicht konzentrieren. Ohne Ausrichtung drohte erneut ein großes Unglück, ich war drauf und dran, alles zu überschwemmen.

Wieder waren es die Götter, die handeln mussten, als sie erkannten, dass es mir an Führung fehlte. Es genügte wohl nicht alleine, seine Aufgabe zu erkennen, es bedurfte auch eines guten Plans.

Durch das Feuer aus dem dritten Auge des erzürnten Rishis Kapil, wurden die Söhne König Sagars zu Asche verbrannt. Ihre Seelen sollten deshalb keine Ruhe finden. Nur mit der Hilfe von himmlischem Wasser konnten sie erlöst werden.
Es war jenes Wasser, aus dem ich geboren wurde, das aufgeladen war von der Berührung Vishnus, der erhaltenden Kraft. Gehütet und verwahrt wie ein Schatz, von Brahma dem Schöpfer. Und letzten endes, von Shivas persönlich seinen Segen erhalten hat, durch das Fließen über seine Haare zu dessen Füßen. Meine reinigende Kraft wurde dadurch potenziert und bleibt einmalig bis zum heutigen Tage. Könige und Kranke trinken dieses Wasser, bei jeder Opfergabe, Puja, wird es den Göttern dargeboten.

Die Zeit war reif und gab mir ein Ziel, eine Richtung. Der Raum meiner Tätigkeit hatte sich entfaltet. Angeführt von Bhagirath, dem Vetter der Unglücklichen Söhne König Sagars, zog ich durch das Land. Es sollte eine lange Reise werden. Bhagirath blies unaufhörlich in das Muschelhorn, und leitete mich aus den Bergen hinaus ins offene Land, Richtung Ozean, dorthin, wo die Asche seiner Vorfahren lag.

Wir kamen vorbei an Städten, die noch keine waren und erst durch mich dazu wurden. Durch Dörfer, die noch keinen Fluss kannten. Menschen kamen das erste Mal, um mich zu sehen. Sie winkten mir zu, nahmen mein Wasser, reinigten sich und ihre Seelen damit und bauten mir zu Ehren Tempel an meine Ufer. Überall, wo ich hinkam, erblühten die Blumen und wuchsen die Feldfrüchte.  Unterwegs traf ich auch auf meine Flußschwestern. Alaknanda, die Unfehlbare, Mandakini, die Dunkle, Krishnas Liebling – Yamuna und Sarasvati, die Geheimnisvolle. Dort, wo wir uns trafen, entstanden vielbesuchte Pilgerstätten, Prayag genannt. Ich war begeistert, geradezu überwältigt von der Hingabe und Ehrerbietung der Menschen. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Wie wichtig ist es doch, im Leben ein Ziel zu haben und dem Herzen dabei zu folgen.

Sonne und Mond spiegeln sich jeden Tag von neuem in meinem Wasser. Der Mond kennt die Geschichte  meiner Geburten. Die Sonne weiß von meiner Aufgabe.

So übermütig und emotional, wie ich war, kam es zu einem Zwischenfall. Auf dem Weg durch einen Wald traf ich auf die Einsiedelei von Rishi Janu. Zu spät erkannte ich meine Zügellosigkeit und überschwemmte sein Lager. Der Weise in seiner unendlichen Wut, nahm einen großen Schluck von meinem Wasser, und mit Hilfe eines Mantras, fing er mich damit ein. Ich verschwand gänzlich in seinem Inneren und war wie vom Erdboden verschluckt. Bhagirath, der zu spät das Unglück bemerkte, irrte lange Zeit suchend umher, bis ihn endlich meine verlorene Spur zu Rishi Janu führte.

Zum Glück ließ der Rishi Milde walten, als er von meiner großen Aufgabe erfuhr und schenkte mir meine Freiheit zurück. Es war fast so, als würde ich nun ein drittes Mal geboren werden.

Endlich erreichten wir die Stelle, wo die Asche der verlorenen Seelen von König Sagar schon viele Jahrtausende auf ihre Erlösung wartete. Ich nahm sie in meine Arme, durchströmte sie mit meiner mir gegebenen Kraft und befreite sie von ihrer Erdgebundenheit. Dieser Platz sollte später als Sagar Island in die Geschichte eingehen.

Meine Arbeit war getan, der mächtige Ozean lag vor mir. Er wirkte wie ein Magnet, ich konnte mich seiner Anziehung nicht erwehren. Sehnsucht nach  Weite und Unendlichkeit erfasste mein Herz. Mein letzter großer Schritt war die Auflösung meines  Wassers in diesem großen Meer. Die Vereinigung mit dem großen Ganzen.

So jung und schnell, wie mein Wasser zu Beginn hoch oben im Himalaya, zu Füßen Shivas ist, so schwer und langsam fließt es hier in den großen Ozean. Auf seinen Händen getragen, kann ich mich voller Vertrauen hingeben und meine Erlösung finden. Das Werden und Vergehen wird nur von einer Flußreise dazwischen getrennt.

Alle Wünsche, Hoffnungen und jede Ehrerbietung, die ich über den weiten Weg durch das Land von den Menschen an meinen Ufern mitgenommen habe, finden hier ihre Erfüllung.

Bis heute fließe ich unaufhörlich vom Werden in das Vergehen, vom Ursprung zum Delta. Alle, die ihren Weg zu mir suchen, finden in meinen Armen Geborgenheit.
So bin ich immer noch da und warte auf jeden einzelnen von euch.

Die Schriften sagen: „ All Jene die meine Geschichte (auch nur) lesen, oder sich meiner hingebungsvoll erinnern, werden Erlösung finden“.

Om maha maya ganga ki jay

(Diese Nacherzählung aus den Puranas, widme ich meinem Freund, Wegbereiter und Wegbegleiter Wolf-Dieter)

Gedanken zu dieser Geschichte:

Diese uralte Überlieferung erzählt nicht nur von dem wunderbaren Werdegang eines Flusses, bzw. einer Flussgöttin und
ihren Aufgaben. Es zeigt einmal mehr, wie nahe Werden und Vergehen beieinander liegen, und das man auf der Reise dazwischen, seinem Herzen folgen sollte.

Betrachten wir es aus dem hermetischen Blickwinkel heraus, finden wir hier sehr schön das Pentagramm hineinverwoben. Das Hereinkommen aus dem Ursächlichen, hier dem Swarg Lok, dem Reich der Wolken, wo Shiva persönlich als Schwellenhüter, als Saturn, den Schnittpunkt der 8 markiert, und Ganga in seinem Haar fängt. Dort begegnet sie auch ihrem Spiegelbild im Mond – ein schönes Bild für die Spiegelung des Sonnenfunkens.
Die sich ausbreitende Kraft des Feuers, das ohne Führung zerstörerisch sein kann, und der notwendigen Entfaltung von Raum-Zeit- und Richtung, zeigt sich in Gangas Unfähigkeit, sich zu konzentrieren, bzw. zu zentrieren. Es droht deshalb eine Überschwemmung.
Bhagirath ist dann wohl Mars in Person, und leitet fortan Ganga Richtung Erdelement, in die absolute Verdichtung.

Das Verschlucken Gangas, durch Rishi Janu, bedeutet nichts anderes, als das der Funke, die Idee, Materie geworden ist, und von der Erde, von Saturn, gefangen genommen wird.
Sehr schön erzählt die Geschichte von dem Freilassen Gangas, aus dem Inneren des Rishis, genauso, wie mit Hilfe Merkurs eine Verwandlung stattfindet, und das Freiwerden aus dem saturnischen Kerker gelingt.

Ganga erlöst nun die zu Asche verbrannten, unglücklichen Seelen, mit ihrem Wasser. Eine Art Transformation, so wie im Sal das Feuer verborgen liegt, und wieder „herausgearbeitet“ werden kann.
Endlich, im Wasserelement angekommen, vor dem Ozean stehend, wagt sie wie Merkur selbst, den letzten Schritt in ihre eigene Auflösung, und Saturn wird hier ein weiteres, ein letztes Mal überwunden. Wir sind im lunaren Äther angelangt, und treffen nun erneut auf den Schnittpunkt der 8. Die Reise ist vollendet, und beginnt bereits wieder von Neuem.

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