Sprachlos stehe ich am Morgen nach einer heftigen Sturmnacht vor den Trümmern meines 30 m hohen Mammutbaums. Mit seinen ca. 50-55 Jahre ist er ein klein wenig älter als ich es bin. Es hat ihn für mich schon immer gegeben und ich hatte nie daran gezweifelt, dass es ihn einmal nicht mehr geben könnte.
Am Abend davor, während der Sturm schon über Stunden heftigst an meinen Bäumen im Garten gerüttelt und geschüttelt hatte, ging ich mit Räucherwerk nochmals durch und besuchte meine Pflanzenkinder. Dort und da lagen Äste und Blätter flogen durch die Luft. Mit dem Räucherwerk ging ich natürlich auch zum größten und mächtigsten Bewohner, dem Mammutbaum. Der ganze Garten steht unter seinem Schatten, seiner Dominanz. Wenn ich von der Autobahn abfahre, kann ich ihn schon von Weitem über alles ragend sehen und weiß wo mein Zuhause ist – nämlich dort wo er steht.
Ich lehne mich an diesem Sturmabend an ihn, so wie ich es immer morgens auch tue, oder jedes mal dann, wenn ich den Garten für mehrere Tage verlasse, bzw. wieder zurück komme. Es ist unser Ritual.
Als ich mich nun an ihn lehne, beruhigen wir uns gegenseitig, auch dieser Sturm geht vorüber. So viele Stürme haben wir schon zusammen erlebt – und nur einer bringt ihn kurze Zeit später, in der Einsamkeit der Nacht, zu Fall.
Die Frage ob er bis jetzt immer Glück gehabt hat, oder eben dieses eine mal nun Unglück hatte, steigt in mir auf. Glück oder Unglück?
Irgendwann in der Nacht, lange nachdem ich ins Haus zurückgegangen bin und 108 mal ein segnendes Mantra rezitiert hatte, muß die Kraft des Sturmes ihn gepackt, und 2 von seinen 4 Wipfeln umgeblasen haben.
Der Hauptstamm selbst ist in der Mitte auseinander gerissen. Vor gut 30 Jahren traf ihn ein Blitz und sein Überlebenswille hat die tiefe, ihn teilende Wunde wieder verheilt. Daraus entstanden dann statt einem, vier Wipfel, und so thronte er für viele Jahre und wuchs mächtig heran.
Leute kamen und bewunderten ihn. Für mich ist er ein alter Freund. Ich habe ihm vor einiger Zeit ein Gedicht geschrieben, wo ich unter anderem die Frage stellte, ob er denn auch noch da sein wird, wenn es mich nicht mehr gibt?
Seine Wipfel die einst die Sonne berührten und in denen sich der Mond verfangen konnte, liegen nun am Boden. Der Riese ist so sanft und bedacht gefallen, dass er weder auf Haus noch Mensch viel, sondern auf dem angrenzenden, leeren Acker in die Knie ging.
Ein Teil steht noch, muss aber gerodet werden, weil der Hauptstamm, welcher nur mehr zur hälfte vorhanden ist, das Gewicht nicht mehr tragen kann. Spätestens der nächste Sturm würde ihn dann ungünstigst zu Fall bringen.
Seine einstigen Bewohner müssen sich nun etwas vergleichbares suchen, dass sie wohl kaum finden werden. Er war einzig.
Seine Zapfen habe ich auf Reisen mitgenommen. So kam er nach Indien, an den Ganges, in den Himalaya und zu einigen heiligen Plätzen und Tempeln. Überall liegt nun ein Teil von ihm. Bei schwierigen Terminen, im Auto und auf meinem Altar, überall ist er anwesend.
Morgen nun soller ganz abgetragen werden. Ich möchte versuchen ihm noch eine Chance zu geben, obwohl die Baumfäller ihm keine mehr einräumen möchten. Irgendeinen Ast, einen Zweig der Hoffnung am Hauptstamm sollte ihm diese Chance geben. Wir alle brauchen manchmal noch eine Möglichkeit, auch wenn es nur für mich ein Hoffnungsschimmer sein soll.
Wie soll ich mich nun von ihm verabschieden? Wie sagt man zu einem alten, treuen Freund für immer Lebewohl? Mir fehlen die Worte und tiefer Schmerz und Trauer berühren mein Herz.
Meine Hühner haben an diesem Sturmabend ihre nahegelegene Schlafstelle verlassen gehabt, was eigentlich nur dann vorkommt, wenn sie Gefahr vor Ort fühlen. Ob es da ein Ahnen, ein Wissen gegeben hat – und ich habe es an diesem Abend einfach nicht gehört?
Ich frage mich warum die Natur einen so starken Verbündeten zu Fall bringt? Er hätte hier mit mir alt werden können – und dabei seine wichtige Rolle als Tempelbaum, Orakel und Freund gehabt.
Wir alle stehen wohl im Leben vor dieser Frage wenn etwas Liebgewordenes sich plötzlich verabschiedet. Egal ob Mensch, Tier oder Pflanze.
Noch mag ich mir die Leere im Herzen und am Horizont meines Gartens nicht vorstellen. Den freien großen Raum zu seinen Füßen, das Verschwinden seines harzigen Geruches. Wie kann etwas so Mächtiges und Stabiles einfach nicht mehr da sein?
Wohin wird sein Ewiges gehen, wird er neu inkarnieren?
Es gibt eine Geschichte über Krishna, der aus Zorn 2 Bäume entwurzelt und viel zu spät, seinen Schaden den er angerichtet hat, erkennt. Wehmütig und von Reue gebeugt, tritt er zu den Bäumen und fragt was er tun kann. Da steigen aus den Gefallenen zwei Rishis heraus, die vor langer Zeit von einem Dämon verflucht worden sind, ihr Dasein in Form eines Baumes zu fristen. Und so bedanken sich die Rishis bei Krishna für die Erlösung.
Gerne möchte ich das für meinen alten Freund so sehen. So wie die Alchemisten behaupten, dass der Lebensgeist, der Merkur, in den einzelnen Dingen unserer Welt befreit werden will. Kunstvoll und bewusst schneller herbeigeführt durch gezielte Verarbeitung, oder aber langsam, mit dem Rhythmus der Natur.
Noch weiß ich nicht ob ein anderer Baum die Aufgabe und Weisheit meines alten Freundes übernehmen wird.
Aber morgen, wenn der große Baum seinen letzten Sonnenaufgang gesehen hat, muss ich mich erstmal von ihm verabschieden. Wenn die Motorsägengeräusche dann für 2 Tage alles in eine Endgültigkeit versetzten, möchte ich weit fort sein, mit meinem Herzen und seinen Erinnerungen….bis das Leben dann wieder weiter gehen kann.
Diese Zeilen gelten meiner Bewunderung und Dankbarkeit diesem alten Freund gegenüber.
2 Gedanken zu „Wenn Riesen zu Boden gehen und ein alter Freund sich verabschiedet“
Liebe Nani,
Deine Worte für den Mammutbaum haben mich auch tief zu Tränen berührt….Ja auch ich kannte seine Kraft und Anmut, …seine Zeit ist jetzt um und sterben ist für Pflanzen und Bäume so natürlich ohne Emotionen, unvorstellbar für uns Menschen….
Danke für die schöne Krishna Geschichte, bin gespannt, welche Kraft sich aus dem Mammutbaum befreit hat 🙂
Liebe Magdalena,
Danke, dass du diesem Giganten noch einmal so eine Ehrerbietung in Form dieses Beitrages erweist! Ich wollte auch noch einen Artikel über den Mammutbaum meiner Kindheit schreiben…habs aber nicht mehr geschafft. Wir wollten das Grundstück ja auch noch geomantisch untersuchen. Ich war und bin mir sicher, dass er eine Art Hauptmeridianpunkt für die Landschaft markierte – unser stiller Riese. So gibt es hier sicherlich erstmal ordentlich Irritation im Feld und alles muss sich erst wieder neu finden und ordnen. Für mich ist sein Fall ein weiteres Zeichen für diese Umbruchzeiten (im wahrsten Sinne des Wortes), die wir erleben. Das Alte geht und schafft Platz für das Neue. Möge dieses Neue von einer Kraft erfüllt sein, die der des Mammutsbaum ebenbürtig ist…und die Stürme der Zukunft übersteht.
Danke für diesen Artikel,
Alfred