Wir wollen an dieser Stelle einen Blick in die indischen Purana´s werfen. Sie sind Sammlungen von Geschichten über Götter und Dämonen aus dem Hinduismus. Bunt und vielgestaltig ist dort das Treiben der nur allzu menschlichen, himmlischen Wesen geschildert. Jede Gottheit mit ihren Inkarnationen hat seine eigene Purana (Geschichten Sammlung) was das Thema etwas komplex macht.
In diesen Erzählungen gibt es nichts, dass es nicht gibt. Das Gute ist nicht immer gut, das Böse bleibt nicht immer böse. Die Geschichten führen vom Hundertsten ins Tausendste, verzweigen, verstricken und widersprechen sich. Man kann sich darin leicht verirren. Dennoch führen sie dem Leser vor Auge, dass es nur eines zu erkennen gibt, nämlich sich selbst. Das sterbliche, limitierende Dasein zu akzeptieren und nach Hause in die Einheit und der Unsterblichkeit des Seins zurückzufinden.
In diesen Mythen gibt es einen Anfang, aber kein Ende, denn das Netz der Erzählungen reicht bis in die Gegenwart hinein und auch wir sind darin verwoben.
Der nachfolgende Text führt uns ganz zurück zum Anfang. Dorthin, wo alles begann. Die unterschiedlichen Puranas stellen dabei natürlich jeweils ihr Idol in den Vordergrund. Wir gehen hier einen Weg der Mitte und müssen uns bewusst sein, dass der Anfang, die Entstehung, chronologisch noch einzuordnen ist, aber bei allen weiteren Erzählungen eine zeitliche Einordnung oft schwer ist. Das mag mitunter auch daran liegen, dass Dinge nicht getrennt voneinander, sondern oft gleichzeitig geschehen.
So wird folgendes erzählt:
Am Anfang war nichts, nur das Parabrahman, das übergeordnete Prinzip, welches weder Anfang noch Ende hat. Die absolute, unbeschreibliche Realität und Wahrheit. Die göttliche Essenz mit ihrem unendlichen Potenzial.
Ursache und Wirkung waren noch vereint als ein Ganzes. Ruhend, ungebunden, sich selbst entfaltend und gleichzeitig sich selbst beinhaltend. Weder an eine Form gebunden noch formlos. Absolutes, reines Bewusstsein, aus der Reichweite von Gedanken und Sinnen. Zeit und Grenzenlos. Unveränderlich und zugleich in sich das Potenzial jeder Art von Veränderung enthaltend.
Es war einzig der Wille des Parabrahman, dass die Entstehung des materiellen Universums begann.
Ein Universum welches beobachtbar, erfahrbar und differenzierbar war. Kurz gesagt: aus der unendlichen Einheit heraus entstand der Wunsch einen Raum zu bilden, worin Kräfte ihre Ausdrucksform finden konnten. Dies brachte die Notwendigkeit mit sich, die erschaffende Kraft in Form von Brahma, die erhaltende Kraft in Gestalt Vishnus, und die auflösende Kraft als Shiva zu schaffen. Zusammen bilden sie die große Götter-Trinität.
Dieser göttliche Wille war es also, der eine Schwingung erzeugte, eine Vibration und aus dieser heraus wurde der erste Klang geboren. Und dieser war Om.
Der Ur-Klang der alle späteren Laute beinhalten sollte. Jedes Geräusch, jedes Wort und alle Sprachen finden hierin ihren Anfang. Es war wohl eine Art Urknall!
Aus diesem Om, dieser ersten wahrnehmbaren Schwingung heraus entstand das primordiale Element, Maha Tattva, aus welchem die drei Gunas, die Ur-Eigenschaften entsprungen sind. Sattva – das Reine und Bewahrende, Rajas – das Bewegende, Treibende und Aktive, sowie Tamas – das Schwere, Dunkle, Ruhende, Auflösende bzw. Zerstörende.
Aus diesen ersten drei Eigenschaften heraus sind alle weiteren entstanden. Wie Fäden spannen sie ihr Netz, verweben sich untereinander, immer dichter werdend, bis daraus begreifbare, erfahrbare und differenzierbare Materie entsteht. Dieses Weben ist ein niemals endender Prozess. So lange die Gunas ihre Fäden spinnen und verweben, so lange ist etwas im Entstehen.
Das Zusammenwirken dieser drei großen Eigenschaften, brachte die fünf physischen Elemente, Erde, Feuer, Wasser, Luft und Äther hervor. Der Baustein unserer materiellen und substanzgebundenen Welt, das Wesen der Natur, Pakriti, war geboren.
Wasser war nun allgenwertig. Es bedeckte alles: Wasser, überall Wasser und nichts, das darin einsinken oder eintauchen konnte.
Das Parabrahman selbst manifestierte sich als Gott, der wie ein Seerosenblatt auf dem Ur-Ozean trieb.
Wasser heißt auf Sanskrit “Nara” und sich örtlich aufhalten heißt “ayana”.
Narayana, eine Form Vishnus, findet somit seine Existenz und bedeutet: “der aus dem Wasser kam”, oder auch “Menschenkind”.
Aus dem Parabrahman entsprang anschließend ein Same, dieser wurde vom großen Wasser empfangen und genährt.
Dieser Same verwandelte sich anschließend in ein strahlendes Ei (Sanskrit: “anda”) und Narayana schlüpfte in dieses Ei. Es fand eine Art Befruchtung statt, “Brahmanda”, der Kosmos war geboren.
Dieses Ei begann sodann goldig zu strahlen und wurde zu Hiranyagarbha (der goldene Mutterleib).
In ihm sind alle Welten, die zu erschaffen waren, potenziell angelegt. Die Erde mit ihrem Land, ihren Bergen, Ozeanen und Flüssen. Den Sternen, Planeten, Pflanzen, Tieren und Menschen.
Aus Vishnus Nabel heraus sprießt nun ein Lotus und seine Blüte bringt Brahma, den Gott der Schöpfung zum Vorschein.
Der Schöpfer reift in diesem Ei wie eine Perle heran und bricht es nach einem Jahr in zwei Hälften.
Die obere Hälfte des Eies wird der Himmel, die untere Hälfte wird zur Erde und der Raum dazwischen ist von Luft ausgefüllt. Die Erde selbst war noch von Wasser bedeckt, wieder nichts als Wasser.
Anmerkung: Brahma hatte damit eine Bewegung in Gang gesetzt. Dort, wo etwas erschaffen wurde, kam gleichzeitig das Erhaltende zum Ausdruck, aber Schöpfung braucht noch einen anderen Aspekt, um den Kreis zu schließen, bzw. das Rad am Laufen zu halten. Das sollte sich bald als ursächliches Problem herausstellen.
Der Schöpfer betrachtet nun sein bisheriges Werk und daraus wird Meditation, aus welcher die Veden, (Wissen) entstehen.
Wissen war somit geboren und damit verbunden entstanden auch die ersten Schwierigkeiten. Denn anschließend wurden zwei Kreaturen geboren. Madhu, was so viel wie Honig bedeutet und Kaitabha , der eine Art Insekt war.
Es heißt, sie seien aus dem Ohr Vishnus gekrochen, der immer noch auf seiner Lotusblume, auf dem großen Wasser dahintreibt.
Die beiden tranken von dem nährenden Wasser und wurden immer größer. Als Riesen und Quälgeister erkundeten sie Brahmanda und trafen dann auch auf den Schöpfer persönlich.
Unwissend und überheblich wie die Beiden waren, erkannten sie Brahma nicht, und begannen, ihn zu bekämpfen. Das ging fast so weit, dass die Veden, die heiligen Schriften, beinahe ins Wasser fielen und drohten, für immer zu verschwinden.
Brahma suchte Hilfe bei Vishnu dem Erhalter, und dieser besiegte die beiden Quälgeister mit einem faulen Trick. Die Veden waren gerettet und Brahmanda kam wieder zur Ruhe.
Aus den Überresten der Besiegten formt Vishnu die 12 seismischen Platten unserer Erde, Berge, Flüsse, Pflanzen und ihre Früchte entstanden.
Unbeeindruckt lag nun diese Erde da und es wurde Zeit, mit der Gestaltung dieses neuen Raumes zu beginnen. Alles, was bereits in dem goldenen Ei potenziell vorhanden war, wurde nun manifest. Bhuloka, die Erde auf der wir heute leben, war entstanden sowie Swargloka, der Himmel und die Unterwelt Pataloka. Die Zeit begann zu ticken und Brahma teilte sie in die vier Yugas, (Zeitqualitäten, Zeitalter) ein.
Doch was nützen schattenspendende Bäume, wenn keiner ihren Schatten sucht, reife Früchte, wenn niemand seinen Hunger damit stillt. Keiner, der sich an den Blumen und dem blauen Himmel erfreut, und Wasser, das niemandes Durst löschen kann? Es wurde Zeit, ein Lebewesen zu erschaffen, das mit und durch diese Schöpfung wandelt und seine Erfüllung dabei findet.
Wer konnte wissen, dass schon allein der Versuch, die höchste Lebensform zu kreieren, Brahma derart herausfordern und die Schöpfung dabei fast zum Kippen bringen sollte.
Aus seinen Gedanken heraus erschuf er die vier Kumaras, Weise in Kindergestalt. Sie waren seine ersten Söhne. Als stolzer Vater wies er sie auf ihre Aufgabe hin, die Welt zu bevölkern und in das Rad von Werden und Vergehen einzusteigen. Die Jungen falteten ehrerbietig ihre Hände und lehnten entschieden ab.
Als Weise geboren hatten sie die Unterscheidungskraft und erkannten den Unterschied zwischen Unsterblichkeit und dem endlosen Rad der Wiedergeburt.
Warum sollten sie die Ewigkeit gegen Vergänglichkeit eintauschen wollen?
Von den vier Himmelsrichtungen gerufen, machten sie sich jeder in eine Richtung auf, die Welt zu erkunden.
Anmerkung: Dort wo Raum für Zeit aufgetan wird, entsteht auch Richtung. Das Eine bedingt das Andere. Es existierte nun nicht mehr nur die Gegenwart mit dem Hier und Jetzt, sondern auch ein Morgen und Gestern, ein Vorher und Nachher, sowie eine räumliche Orientierung.
Brahma, in seiner Verzweiflung und Wut über den Ungehorsam seiner Söhne, brüllte seinen Ärger heraus, und daraus entsprang ein neues, wenn auch grollendes, himmlisches Wesen. Es fordert einen Namen und der Schöpfer nannte es Rudra. Die wilde, wütende und tobende Form Shivas war in Erscheinung getreten.
Das letzte Teil der Trinität, der Herrscher über Tamas, das auflösende, zerstörende Prinzip, fand endlich seinen Ausdruck.
Shiva ist es, der uns wieder nach unserem Weg durch die duale und materielle Welt zurückruft in die Einheit, den Ursprung und den Quell der Unendlichkeit.
Brahma hoffte nun auf seine Unterstützung und bat um Hilfe bei der Bevölkerung der Erde. So erschuf Rudra, überzeugt von sich selbst, Kopien seiner Gestalt. Brahma, von Panik getrieben, stoppte diese wilde Reproduktion und Rudra muss erkennen, dass auch er nur unsterblichen Wesen Form geben kann.
Elf Rudras waren dabei entstanden und Brahma musste diesen Wilden ein sicheres Zuhause, eine Beschäftigung geben. Einer bekam das Herz als Wohnsitz. Fünf von ihnen wurden zu den fünf Sinnesorganen und die verbleibenden fünf kamen zu den fünf Elementen. Shiva selbst räumte das Feld, setzte sich auf einen Berg und begab sich in Meditation.
Brahma startet einen erneuten, verzweifelten Versuch und erschuf aus seinem Geist heraus sieben himmlische Weise, die Saptarishis.
Anmerkung: Die Saptarishis sind die Bewahrer des Wissens. Ihre Aufgabe ist es, zu erinnern und zu erschauen. Ihr Blick geht in die Vergangenheit sowohl als auch in die Zukunft. Sie bilden das Sternbild “der große Bär”.
Die Palmblattbibliothek ist mit ihrem Wissen über Zukunft und Vergangenheit gefüllt. Für jede einzelne Seele auf unserer Erde haben sie aus der großen Chronik ( Akasha Chronik) herausgelesen und ihre Geschichte niedergeschrieben.
Vyasa, einer der Saptarishis, hat Ganesha die Mahabharata ( indischer Epos), die große Geschichte der Menschheit, welche sich immer wieder wiederholt, diktiert. Die Bhagavadgita, das Buch über Krishna und den großen Kampf, ist ein Teil davon.
Die sieben Weisen schöpfen aus dem unendlichen Brunnen der Weisheit. Alles, jedes Wort, jede Tat und jeder Gedanke sind dort gespeichert für alle Ewigkeit. Jeder hat seine Geschichte. Ineinander verwoben bilden sie ein Netz, das uns alle miteinander in alle Ewigkeit verbindet. Aus dem ersten Klang, dem Om heraus entstand das Wort und aus diesem wurde eine große Geschichte, unsere Schöpfungsgeschichte.
Des Weiteren entsprang Dharma ( Gott der Rechtschaffenheit, Gesetzmäßigkeit) aus Brahmas Herz. Sein Vater prophezeit ihm: “Obwohl geboren aus meinem Herzen, wirst du nie lange in anderen Herzen sein.” In Gestalt eines Bullen verkörpert jedes Bein eine der vier großen Tugenden.
Wahrheit (Satya), Selbstbeherrschung (Tapas), Reinheit ( Swachha) und Mitgefühl, Hinwendung, Liebe ( Karuna).
Mit dem Fortschreiten der einzelnen Yuga´s gehen nacheinander diese Tugenden verloren, bis hin zum gänzlich tugendlosen Kali Yuga .
Aber auch Agni der Feuergott, Kamadeva der Liebesgott und Daksha, eine immer wieder geborene Gestalt, die die Geschichte noch wesentlich prägen wird, finden hier ihren Anfang, sowie Vishwakarma (der Architekt der Götter) und Narada.
Letzterer wird wieder vergeblich von seinem Vater gebeten, in das Rad der Wiedergeburt einzusteigen und Brahma selbst, auch nur ein Gott, ist am Ende seiner Weisheit – doch das Rad der Zeit will sich drehen und so geht die Geschichte weiter, denn Hilfe kommt von unerwarteter Seite.
Dem Schöpfer geht der ganze Zauber langsam ans Gemüt und er muss sich ernsthaft fragen, ob er denn der Richtige für diesen Job ist. Keiner seiner Schöpfungen, seiner Söhne, wollte bis jetzt die Aufgabe übernehmen und ins Rad der Wiedergeburt, dem ewige Kommen und Gehen einsteigen. Vishnu rät ihm, bei dem meditierenden Shiva um Unterstützung zu bitten.
Brahma zögert, denn die elf wilden Rudras sind ihm noch gut in Erinnerung und um die Aufmerksamkeit Shivas zu erlangen, braucht es viel Geduld und Hingabe. Aber was bleibt ihm übrig? So versucht er viele Zeitalter lang, Shiva aus seiner Meditation zu locken, was ihm schließlich auch gelingt.
Und dieser spricht mit verhöhnender Stimme: “Reproduktion, Fortpflanzung kann nicht alleine durch deine Söhne geschehen, Brahma! Was fehlt, ist die weibliche Kraft, Shakti.”
Und so war die Zeit gekommen für Ardhanarishwara, die androgyne Form Shivas. Halb Mann, halb Frau, die perfekte Symbiose der gegensätzlichen Energien. Diese göttliche Dualität, die zuvor noch unbekannt war, nahm Form an.
Adishakti, die göttliche Mutter mit all ihrer Pracht sprach aus ihr heraus: ”Brahma das weibliche ist fortan der verlockende Grund, welcher deine Söhne in das Rad dieser Welt ziehen wird.
Erst durch die Spannung zwischen dem weiblichen und dem männlichen Pol, entsteht neues Leben. Dort, wo du das eine siehst, wirst du auch immer das andere finden und wo immer diese zwei sind, entspringt daraus ein Drittes.”
Dem Schöpfer ging wahrlich ein Licht auf und er fand Gefallen an dieser Idee, und so entsprang aus ihm heraus, das erste Paar, die Ureltern der Menschheit.
Manu der Urvater (Sanskrit: Manushya=Mensch) und seine Frau Brahmi wurden aus göttlichem Vorbild heraus erschaffen. Unzählige Kinder sollten daraus noch hervorgehen, der Stammbaum konnte beginnen zu wachsen.
Das Problem war gelöst, aber ein Neues lag bereits in seiner Wiege, denn Brahma selbst fand Gefallen an dem Weiblichen und konnte seinen Blick nicht mehr von Brahmi, seiner Tochter lassen. Das ging so weit, dass ihm vier Köpfe zusätzlich wuchsen, um immer nach ihr Ausschau halten zu können.
Brahmi fühlte sich verfolgt und nahm die Gestalt einer Kuh an, um sich zu tarnen, aber Brahma tat es ihr gleich, und wurde zu einem Bullen. So versuchte sie als Stute zu fliehen und Brahma folgte ihr als Hengst. Dieses Spiel ging ewig so weiter, immer mehr Tiere nahmen dadurch ihre Gestalt an. Alle Lebewesen zu Land, Wasser und Luft waren dadurch entstanden, bis Shiva dem rasenden Treiben je ein Ende setzte, indem er Brahma einen seiner Köpfe abtrennte. Als Strafe sollte dieser fortan aus seinen vier Mündern nichts anderes als die Veden (Wissen) verkünden.
Die Welt war somit gut, so wie sie war. Das höchste Lebewesen war erschaffen. Tiere und Pflanzen fanden ihre Berechtigung. Aber Mond und Sonne hatten noch nicht ihren Platz bekommen. Die neun edlen Wunder, die Navaratnas, waren noch nicht entstanden und der Polarstern hatte noch nicht seine fixe Position am Himmel. Aber das sind andere Geschichten, die erst erzählt werden wollen.
Anmerkung: Die Geschichten mögen den Leser etwas verwirrt zurücklassen, aber es kommt die Zeit wo wir im Leben selbst, mit der einen oder anderen Erzählung, durch eine Art von Erfahrung oder Erinnerung, in Berührung kommen werden . Denn aus der Sicht des Hinduismus (und einem noch viel älteren Quell heraus),
IST DAS UNSERE GESCHICHTE.