In der Hermetik heißt es:“ Dort wo eines ist, muss auch immer ein zweites sein. Es geht dabei um Resonanz. Ein Lichtstrahl muss irgendwo auftreffen können und zurückgestrahlt werden, erst dann wird er sichtbar. Dafür braucht er ein Gegenüber. Und wann immer zwei zusammenkommen, entsteht daraus (etwas Neues) ein Drittes.“ Merkur als Sonne – und Mondkind wird dadurch geboren.
Die hermetische Geburt und ihre „Gleichung“: Eins und Eins ist Drei!
Es ist das Kind selbst, das Sonnen und Mond zu Eltern werden lässt. Umgekehrt gäbe es keinen Merkur (kein Kind), wenn sich nicht Sonne und Mond als Paar zusammentun würden. Kurz gesagt, das Merkurkind gibt seinen Eltern ihre Rolle und damit ihre Berechtigung zu wirken. Gleichzeitig entsteht es aus ihrem Zusammenwirken heraus. So wie die Bühne dem Schauspieler seine Darbietung ermöglicht, so macht erst der Akteur die Bühne lebendig. Eine Henne-und Ei-Thematik. Wer oder was war zuerst da?
Die Zweiheit kann sich einerseits als Polarität, also Gegensatz ausdrücken, aber auch als Dualität und Schöpfungskraft verstanden werden.
Im Tantra verkörpern Shiva und Shakti dieses Doppel als Paar, aus welchen heraus die ganze materielle Welt in der wir leben, entsprungen sein soll. Es ist ihr Spiel, ihr Lila, das das Rad von Werden und Vergehen am Laufen hält. Auch hier im Tantra heißt es: Wann immer zwei aufeinander treffen, entsteht etwas Neues – ein Drittes.
Parvati (andere Form von Shakti und Shivas Gefährtin) musste aber zuvor Shiva, ihren zukünftigen Gemahl, mit List und der Hilfe von Kamadeva, dem Liebesgott und seinen Pfeilen aus der Einheit herauslocken.
Erst der Pfeil Kamadevas traf Shiva mitten ins Herz, ließ ihn aus der ewigen Meditation erwachen und das Begehren gegenüber Parvati erkennen.
Dass der Liebesgott deshalb zu Asche verbrannt wurde und fortan in unserer materiellen Welt keinen Körper mehr besitzt, ist schade, beraubt ihn aber nicht seiner Aufgabe bzw. Wirkung.
Shivas drittes Auge und das daraus strahlende Feuer der meditativen Einpünktigkeit verschonten den Störenfried nicht und kalzinieren diesen im Moment des Erwachens.
Vedische Geschichten sind voll von Bildern, die sehr ausdrucksstark komplexe Themen aufzeigen und uns das Verstehen über das Wirken der Kräfte erleichtern.
Unsere materielle Welt ist voll von Paaren und Gegensätzen, die sich gegenseitig bedingen. Zum Beispiel: Worte und ihr Ausdruck über Sprache; Frage und Antwort; Wollen und Brauchen; Angebot und Nachfrage; Subjekt und Objekt; Hell und Dunkel; Warm und Kalt; Leben und Tod uvm.
Sie alle haben gemein, dass ihre Gleichung von beiden Enden zu lesen ist, und was noch viel wesentlicher ist, dass sie sich gegenseitig ins Leben, Handeln und Sein rufen.
Erst der oder das Eine gibt dem Anderen seine Rolle und ermöglicht ein Erkennen. Ihre Verbindung ist das Dritte in seinen unzähligen Abstufungen die dazwischen liegen.
Nehmen wir als Beispiel „Hell“ und „Dunkel“ heran, dann ist das immer weniger Helle, das sich langsam in Stufen dem Pol „Dunkel“ nähert, das Verbindende Glied. Also zwischen Hell und Dunkel liegen viele Schattierungen die sich dem einen oder anderem Pol nähern.
Wir sprechen hier von Verbindlichkeit, und es gibt sie überall. Dieser Bogen, der hier gespannt wird, ist der Grund für Entwicklung, Wachstum und Identifikation. Ein Baustein von Karma, von Aktion und Reaktion.
Denken wir diesen Gedanken weiter, dann erkennen wir sein Ausmaß. Mit jedem Gegenüber, mit jeder Situation stehen wir im Austausch, gehen wir in Beziehung und müssen uns aktiv dabei positionieren. Leben ist Dasein, ist Bewegung und ein ewiger Austausch von Energie. Ein „hin und her“, ein „sowohl als auch“, und gleichzeitig ein „weder noch“.
Je bunter das „Angebot“ desto vielschichtiger können diese Rollenspiele sein, d.h. aber nicht, dass wir uns darin verlieren sollen. Nein, mit jedem Gegenübertreten soll uns bewusst werden, wie vielgestaltig wir selber sind, und dass eigentlich alles, jede Positionierung, möglich ist.
Fragen wir uns selbst: Wem gegenüber fühlen wir uns verbindlich?
Inwieweit ist dieser Austausch förderlich oder nicht? Kostet es uns viel Kraft oder erfüllt es uns, bzw. entsteht dabei etwas erhebendes?
Diese unendliche Verbundenheit führt uns, bildlich betrachtet, als Fluss des einzelnen Individuums in das Meer der Einheit zurück.
Einsamkeit entsteht aus einem Gefühl der Trennung. Wir können nicht für uns alleine überleben, auch wenn wir das immer wieder einmal gerne so sehen möchten.
In der Natur finden wir das Thema der Zusammengehörigkeit und des gegenseitigen Zusammenwirkens sehr stark ausgeprägt in Form der Symbiose. Samen können oft nur dann keimen, wenn sie zuvor z.B. durch einen Tierdarm gewandert sind.
Die Mistel braucht einen Baum als Wirt, welcher wiederum seinen Nutzen daraus zieht. Die meisten Blüten benötigen Insekten, um zu fruchten und sich weiter zu vermehren und umgekehrt.
In der Natur zeigt sich viel offensichtlicher was geschehen kann, wenn dieses Gefüge von gegenseitigem Nehmen und Geben gestört wird. Ganze Arten drohen zu verschwinden. Das Aussterben von Leben finden wir in allen Bereichen.
Ein Gegenüber ist gewissermaßen ein Spiegel unseres eigenen Wirkens. Anziehung und Abneigung zeigen das deutlich. Können zwei in keine Beziehung zueinander treten, ist ein Austausch kaum möglich. Manchmal kann Annäherung durch ein Mitwirken von außen oder durch eine kreative, neugierige Einstellung dem Fremden gegenüber förderlich sein.
Die indischen Puranas (Sammlungen von Geschichten über Götter und Dämonen) erzählen vom kleinen Krishna, der eines Tages in die Yamuna (Fluss) fällt und nicht wieder auftaucht. Eine Menschenmenge sammelt sich am Ufer und ruft aufgeregt:“ Rettet den Jungen, holt ihn aus dem Wasser!“ Endlich springt ein Mann mit voller Bekleidung in die Fluten, taucht unter und zieht den Jungen hustend an Land zurück. Die Menschenmenge jubelt und ruft entzückt:“ Ein Held! Er hat den Jungen gerettet“ Der tropfnasse Mann steht verwirrt in der Menge und fragt:“ Wer von euch war das? Wer hat mich hinein gestoßen?“
Nicht immer ist das Rollenspiel klar, Zeit ist hierbei ein wesentlicher Faktor. Es geht auch um die Flexibilität des Geistes und seiner Vorstellungskraft.
Alles ist mit allem verbunden, tauscht sich aus und erkennt sich darin selbst. Immer dann, wenn wir in Beziehung treten, lernen wir uns dabei selber zu begreifen.
Wachstum und Entwicklung entstehen, und das wiederum ermöglicht die ewige Verwandlung.
Wie unglaublich groß das Potenzial doch ist. Es grenzt sich von keiner Seite her ein und führt uns einen Umstand ganz klar vor Augen: Keiner von uns ist alleine. Wir begleiten und bedingen uns gegenseitig.
Die Verbindlichkeit hat weniger mit Bindung sondern mit Verbundenheit zu tun.
Dort wo ein Ich ist, ist immer auch ein Du, und daraus entsteht ein Austausch. Folgen wir dieser Verbindung ins Große, dann finden wir zurück zur Quelle, zum Anfang unserer Welt, in die Mystik der Einheit.
Mit allem verbunden zu sein, bedeutet ein wesentlicher Teil des Ganzen zu sein.
M.M.
Folgen wir diesem „Bild“ und nehmen wir es mit in die Adventzeit, lassen wir uns von dieser Offenheit durch die Raunächte begleiten und begrüßen wir das was uns Gegenübertritt.
In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen ersten Adventsonntag!