Ein Morgen im Paradies

Wenn der Morgentau vom Frauenmantelblatt getragen die erwachende Welt widerspiegelt und der Himmel sein blaues Zelt über das saftige Grün der Natur spannt, dann ist der Sommer in seinen Startlöchern.

Der Schlafmohn hat schon lange bevor ich aufgestanden bin, seine Blütenhüllen fallen lassen und seine federleichten und filigranen Blüten geöffnet. Es herrscht bereits eine große Betriebsamkeit um die begehrten Pollen. Große, schwarz glänzende Schmuckbienen, Honigbienen sowie die kleinen Schwebefliegen, alle stürzen sich gierig in ihr Vergnügen. Oft fliegen mehrere gleichzeitig in nur eine Mohnblüte, diese neigt sich dann schon fast gefährlich weit zusammen mit dem Gewicht ihrer emsigen Besucher. Ein Kommen und Gehen. Ein Summen und Brummen.

Die Nachtkerze, die am Vorabend ihre Blüten bereits kurz nach Sonnenuntergang geöffnet hat, ist so früh am Morgen noch sulfurisch gelb und weit geöffnet. Auch die Datura, der Stechapfel hat die ganze Nacht schon geblüht und seine blass blauen Trompetenblüten so weit geöffnet, dass der Blick in ihre Mitte tief in ihr Inneres zieht. Zusammen mit ihrem berauschenden Duft ist es wie eine Erinnerung an den Rest eines nächtlichen, süßen Traumes. Erst die starken Sonnenstrahlen lassen diese dann bis Mittag welk werden.
Selbst die Mohnblüte hält nicht länger. Sie sind Kinder der frühen Stunde.

Das Bilsenkraut lugt neugierig aus dem üppig werdenden Blumenbeet in den beginnenden Tag. Ihre Behaarung reflektiert das Sonnenlicht und lässt sie glänzen. Der Duft ist jetzt besonders süßlich und animalisch zugleich.

Die Königskerze nimmt ihren Raum großzügig ein und streckt sich gleichzeitig dem Äther zielstrebig entgegen. Die gelben Blüten, die von den Hummeln geliebt werden, sind wie ein dreidimensionales Sri Yantra angeordnet. Heilige Geometrie im Blumenbeet. Die Königskerze blüht lange in den Sommer hinein und ihre Blätter fangen jede Feuchtigkeit aus dem morgendlichen Atem der Natur ein.

Das Venusbecken der jungen Karde ist gefüllt und die nahe Belladonna hat schon dort und da ihre ersten grünen Augen (Früchte) geöffnet. Noch sind sie grün, aber schon bald wird die immer stärker fordernde Sonne diese in schwarze Pupillen verwandeln, mit denen sie dann ihre Betrachter anstarrt.

Ja, der Garten ist zu dieser Jahreszeit und frühen Stunde wie ein Paradies, das seinen ersten Morgen gerade selbst feiert. Blüten, die ihre Sehnsucht zum Ausdruck bringen und pralle Knospen, die nur darauf warten, ihren ersten und einzigen Morgen im Paradies zu erleben.

Ein Augenblick für die Ewigkeit, und die Ewigkeit in jedem Augenblick wiederfindend. Aus Sehnsucht und Leidenschaft besteht dieses Feuer, das die Zeit um die Tag – und Nachtgleiche signiert.

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